Neurodegenerative Erkrankungen:
Aktueller Stand zum Thema BSE, CJK und nvCJK
Dr.
med. Michael P. Jaumann
Einleitung:
Neurodegeneration ist ein Prozess, der nach Abschluss der
Entwicklung mit einem Untergang von Nervengewebe, insbesondere
von Neuronen, einsetzt. Die wichtigsten neurodegenerativen
Erkrankungen sind:
* M.
Alzheimer,
*
amyotrope Lateralsklerose (ALS)
* M. Parkinson,
*
Amyloidosen
*
Prionenerkrankungen.
Bei
diesen Krankheiten existieren sowohl hereditäre wie spontane, im
Fall der Prionen-Erkrankungen auch "infektiöse" Formen (Tab. 1
und 2).
Aufgrund der zwischenzeitlich auch in Deutschland nachgewiesenen
Erkrankungen von Rindern mit BSE (Bovine spongiforme
Encephalopathie) werden derzeit viele kontroverse Diskussionen
geführt und widersprüchliche bzw. unklare Artikel
veröffentlicht. In England wurde der erste BSE-Fall 1985
gesichert und 1996 die "neue Variante der
Creutzfeldt-Jakob-Krankheit" (nvCJK) erstmals bei einem Menschen
diagnostiziert. Auch in Deutschland werden wir früher oder
später den ersten Patienten mit nvCJK erleben (Abb 1 und 2).
Der
nachfolgende Artikel gibt einen Überblick über die derzeit
vorliegenden wissenschaftlichen Fakten und die wichtigsten zur
Diskussionen stehenden Hypothesen bzgl. BSE, CJK und nvCJK.
I.
Spongiforme Encephalopathien
Eine
Gruppe von Erkrankungen, die sowohl beim Menschen als auch bei
Tieren auftritt, wird mit dem Begriff TSE
(Transmissible
spongiforme Encephalopathie)
bezeichnet. Dieser Begriff wurde deshalb gewählt, weil diese
Erkrankungen übertragbar sind und zu charakteristischen
schwammartigen (spongiformen) Veränderungen des Gehirns führen.
Übertragbarkeit
Die
möglichen Übertragungswege werden zur Zeit intensiv untersucht
und sind für alle spongiformen Encephalopathien noch nicht
abschließend geklärt. Von einigen Erkrankungen ist bekannt, dass
sowohl die horizontale Übertragung (Ansteckung innerhalb einer
Gruppe bzw. Herde) als auch die vertikale Übertragung
(Übertragung von der Mutter auf Nachkommen) möglich ist. Dies
kann während der Schwangerschaft (intrauterin) bzw. um den
Zeitpunkt der Geburt bzw. in den ersten Lebensmonaten geschehen
(ANDERSON).
Im
Gegensatz dazu sind die erblichen Formen der spongiformen
Encephalopathien keine Infektionen. Vielmehr kommt es bei diesen
Fällen zu "spontanen" Mutationen im genetischen Material. Durch
die geänderte Erbinformation wird der Ausbruch einer solchen
Erkrankung begünstigt (genetische Disposition) bzw. die
Erkrankung ausgelöst (Tab. 3 und 4) (PARCHI, SCHULZ).
Im
Vergleich mit anderen Infektionskrankheiten ist die
Inkubationszeit bei den "infektiösen" spongiformen
Encephalopathien unverhältnismäßig lang und beträgt teilweise
Jahre oder Jahrzehnte. Auffällig ist, dass bei Tierversuchen und
auch bei menschlichen Autopsien keine Abwehrreaktionen des
Immunsystems gegen die "Infektion" erkennbar waren. Deshalb ist
es letztendlich noch immer unklar, wie eine solche Infektion
erfolgt. Es gibt eine Reihe von Modellen, wie die
Auseinandersetzung zwischen Immunsystem und dem infektiösen
Material im Körper abläuft. Aus Tierversuchen ist bekannt, dass
es nach Aufnahme von infektiösem Material über das Futter bzw.
Inoculation von infektiösem Material in das Tier (Bauchhöhle,
Augenhöhle) zu einer Anreicherung der krankmachenden Teilchen in
den Lymphbahnen, den Lymphknoten, der Milz und im
lymphoretikulären Gewebe (Darm, Milz, Tonsillen) kommt. Dies
erfolgt vergleichsweise schnell. Wesentlich langsamer erfolgt -
entlang der Nervenbahnen aufsteigend - eine Besiedelung des
Gehirns und in Teilen auch des Rückenmarks. Sowohl im Gehirn als
auch im Rückenmark ist insbesondere die graue Substanz durch die
Erkrankung verändert, während die weiße Substanz kaum betroffen
ist.
Die
Schnittstelle zwischen Prionen und Immunsystem wird von AGUZZI
und Mitarbeitern intensiv untersucht. Die Ergebnisse neuester
Untersuchungen zeigen, dass zelluläres Prionen-Protein (PrPC)
die Übertragung des "Erregers" von der Peripherie in das
Zentralnervensystem (ZNS) unterstützt, und dass die
Neuroinvasion von einer Neuroimmun-Schnittstelle abhängig ist
(AGUZZI, 1997). Da die B-Lymphozyten für diese Neuroinvasion von
essentieller Bedeutung sind (KLEIN, 1997), könnten diese eine
potentielle Angriffsfläche für eine Postinfektionsprophylaxe
darstellen.
Das
schwammartige Bild, das bei der histologischen Untersuchung
festgestellt wird, wird durch Löcher und in den Nervenzellen
zwischen den Nervenzellen hervorgerufen. Diese Vakuolen finden
sich typischerweise mit einem gleichen Verteilungsmuster in der
linken und der rechten Gehirnhälfte. Bei all diesen Erkrankungen
finden sich Ablagerungen eines vom Körper produzierten Eiweißes
(Protein), welches jetzt in abgewandelter, krankmachender Form
(PrPSc = PrP Scrapie) vorliegt. Dieses Eiweiß ist
das sogenannte Prionen-Protein der Zelle (PrPc) und
ist ein natürlicher Bestandteil in jedem Säugetierorganismus und
Menschen.
Übertragungswege
Seit
dem Jahr 1988 werden stetig wiederkehrende Versuche gemacht, um
bessere Modelle zu finden, welche den Entwicklungen in der
Epidemiologie von BSE gerecht werden. Zunächst hatte man
angenommen, dass BSE durch Scrapie bei Schafen bzw. über
Knochenmehl von teilweise infizierten Rindern verursacht worden
war. Bei einer Gesamtbewertung der verschiedensten zur Verfügung
stehenden Daten muss insbesondere eine vertikale Transmission
von der infizierten Mutter auf das Kalb angenommen werden.
Denkbar wäre auch eine postnatale Infektion in den ersten
Monaten durch z.B. kontaminierte Milchaustauscher. Bei der
Knochen-Tiermehl-Produktion wird vor dem Trocknungsprozess Fett
abgepresst, das für z.B. Milchaustauscher genutzt wurde und
aufgrund der Lipophilität der pathologischen Prionenproteine
diese besonders angereichert hat. In den ersten Lebensmonaten
ist der Darm von Kälbern besonders "durchgängig", um die
größeren und großen Moleküle wie Antikörper aus Colostrum und
Muttermilch besser aufnehmen zu können (ANDERSON, DEALLER,
FOSTER, HOINVILLE, MAFF, McKINLEY). Derzeit verdichten sich die
Hinweise auf eine "Infektion" der Kälber im ersten Lebensmonat
(DEALLER, JAUMANN, RIESNER).
Epidemiologie der Scrapie
Die
Erstbeschreibung der Scrapie ("Traberkrankheit") geht auf das
Jahr 1738 zurück. An Traberkrankheit leidende Tiere finden sich
in fast allen Ländern der Erde. Die Erkrankung kommt endemisch
vor. Eine Ausnahme bilden Australien und Neuseeland, wo durch
rigorose Schlachtungsprogramme eine Ausrottung dieser Erkrankung
erreicht wurde. In Großbritannien sind ca. 25 Prozent der 4,2
Millionen Schafe mit Scrapie durchseucht. Die Ursache des
Auftretens von "natürlicher Scrapie" ist noch nicht geklärt.
Scrapie war im übrigen die erste spongiforme Encephalopathie,
deren Übertragbarkeit nachgewiesen werden konnte. Es wurde erst
1938 entdeckt, als über 1500 Schafe an dieser Krankheit
verendeten, dass ein Zusammenhang mit einem formalinfixierten
Impfstoff aus Lymphgewebe eines Schafes bestand.
Der
erste Fall von Scrapie bei einer Ziege wurde 1942 beschrieben
(CHELLE). So vermutet Prof. Dr. H. Diringer vom
Robert-Koch-Institut in Berlin, dass auch der direkte perorale
Infektionsweg von Scrapie-infizierten Schafen auf den Menschen
möglich ist. Libysche Juden, die Schafsaugen und Schafshirn
essen, sowie Bewohner entlegener Gebiete in der früheren
Tschechoslowakei mit Schafsscrapie haben eine besondere Form der
Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung: CJK-200. Diese Leute haben im
amyloidogenen Glykoprotein in Position 200 eine Mutation,
bedingt durch eine Punktmutation am Sinc-Gen. Weitere endemische
Herde finden sich in Israel und Chile.
Epidemiologie von BSE
Der
erste Fall einer möglicherweise an BSE-erkrankten Kuh wurde 1883
(SARRADET) beschrieben, der einer BSE-Erkrankung bei einem
britischen Rind im April 1985 in Kent entdeckt (WELLS). So kam
es in den Folgejahren zu einer massiven Zunahme der
registrierten BSE-Fälle pro Jahr (COUSENS) mit Spitzenwerten von
über 35.000 Erkrankungen pro Jahr. Seit 1993 sinken die
Fallzahlen, möglicherweise aufgrund veränderter
Fütterungsgepflogenheiten seit Ende der 80er Jahre (Abb. 1).
Auffällig ist auch die geographische Verteilung der
BSE-Erkrankungen. So sind im Süden Englands bis zu 75 Prozent
aller Herden betroffen. In Schottland nur 30 Prozent der
Milchkuhherden. Grund hierfür könnte sein, dass im Norden die
Tiere überwiegend von Grünfutter leben, während im Süden
häufiger zugefüttert wird. Es sind Herden mit Milchvieh und
Herden mit Mastbullen in etwa gleichermaßen betroffen
Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass die Zunahme der
Zahlen von BSE-erkrankten Rindern nicht in der zunehmenden Zahl
erkrankter Tiere pro Herde begründet liegt, sondern in der
zunehmenden Zahl betroffener Herden. So seien in den betroffenen
Herden nur bis max. 20 Prozent der Tiere erkrankt (DEALLER) (Abb
2).
Epidemiologie der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung
Die
Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) ist eine seltene, weltweit
verbreitete Erkrankung des Menschen. Die Erstbeschreibung
erfolgte durch die Neurologen Creutzfeldt und Jakob im Jahr
1920. Die erste Patientin, die an einer
Creutzfeld-Jakob-Krankheit im Jahr 1913 verstorben ist, war eine
27-jährige Metzgerstochter (CREUTZFELDT). Die Häufigkeit beträgt
etwa einen Fall pro eine Million Einwohner und betrifft
überwiegend alte Menschen (Durchschnittsalter in Großbritannien
67 Jahre).
Im
Jahr 1996 erkrankten in Großbritannien mehrere junge Menschen,
bei denen eine neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit
(nvCJK) festgestellt wurde (WILL). Das Alter dieser untypischen
CJK-Patienten betrug 12-39 Jahre. Der Zeitraum vom ersten
Auftreten der Krankheitssymptome bis zum Tod lag zwischen 7,5
und 22,5 Monaten. Neben dem deutlich niedrigeren Alter zum
Zeitpunkt des Auftretens der Erkrankung zeigen auch die Symptome
dieser Patienten eklatante Unterschiede zum bisher bekannten
"klassischen" Verlauf von CJK (Abb 3 und 4).
II.
Diagnostik
Ein
wesentliches Problem der Diagnostik von nvCJK ist, dass viele
dieser Patienten vergleichsweise jung sind, so dass die
klinische Diagnose von CJK möglicherweise nicht berücksichtigt
oder als unwahrscheinlich angesehen wird. Anders könnte es sein,
wenn den Ärzten mögliche Risikofaktoren des Patienten bzw. in
der Familie bekannt sind.
Sowohl
bei der sporadischen als auch der iatrogenen Form von CJK finden
sich häufig periodische scharfe Wellen-Komplexe im EEG und eine
Aufhellung im Putamen im MRT. Diese Veränderungen werden
normalerweise aber nicht früh genug gesehen, um bei Beginn der
Erkrankung in der Differentialdiagnose hilfreich zu sein (Abb.
4).
Im
Gegensatz dazu hat sich der Test für den
14-3-3-Kinase-Inhibitor, eine Proteinfamilie in Liquor als
zunehmend wertvoll in der Diagnostik von CJK gezeigt. In Studien
wurde der Test, auch in frühen Stadien, mit einer Sensitivität
und Spezifität von 90 bis 95 Prozent bewertet (ZERR).
Eine
Neuentwicklung wird derzeit aus der Universität Zürich
berichtet, wo AGUZZI und Mitarbeiter belegen konnten, dass sich
pathologisches Prionenprotein im Blut besonders gut an den
Gerinnungsfaktor Plasminogen anlagert (FISCHER). Diese neuen
Erkenntnisse lassen auf ein einfacheres Testverfahren (im
Vergleich zur Biopsie aus dem Hirnstamm bzw. der Gaumentonsille)
während der Inkubationszeit hoffen.
Aus
Untersuchungen bei Schafen ist bekannt, dass schon während der
Inkubationszeit einer Scrapie-Erkrankung pathologisches
Prionenprotein in Geweben (z.B. Tonsille) gefunden werden kann
(BONS). Untersuchungen haben für den Menschen gezeigt, dass die
pathologische Form des Prionenproteins in bestimmten Geweben wie
Tonsillen und Appendices vor dem Beginn klinischer Symptome
(HILL, HILTON, SCHREUDER) nachgewiesen werden kann.
Informationen über die Prävalenz der Erkrankungen in der
Inkubationsphase könnte die bisherigen Unsicherheiten über das
Ausmaß der zukünftigen Epidemie vermindern.
(Hinweis: Seit Ende 2000 hat Prof. Dr. Collinge, London von der
Ethikkommission die Erlaubnis erhalten, anonyme Untersuchungen
an Tonsillen von Kindern und jungen Erwachsenen im Rahmen einer
Studie durchzuführen).
III. Genetische Besonderheiten
Bei
Patienten mit CJK weisen Untersuchungen darauf hin, dass es
einen besonderen genetischen Polymorphismus mit einem erhöhten
Risiko an einer BSE-Infektion zu erkranken gibt. So ist schon
länger bekannt (PALMER), dass homozygote Personen in den
allermeisten CJK-Fällen überrepräsentiert sind (Abb. 5).
Wissenschaftliche Daten legen nahe, dass die Umwandlung der
normalen Isoform des Prionenproteins in die pathologische
Isoform durch Moleküle mit einer identischen Aminosäurensequenz
einfacher möglich ist: ein homozygoter Codon 129 würde also eine
Prädisposition für die Erkrankung darstellen (PALMER).
In
diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass die verschiedenen
Genotypen mit einem Polymorphismus am Codon 129 des PRNP-Gens
sich in der normalen weißen Bevölkerung in etwa mit 40 Prozent
Methionin homozygot, 10 Prozent Valin homozygot und 50 Prozent
heterozygot finden (ALPEROVITCH).
In
diesem Zusammenhang könnte von Wichtigkeit sein, dass 90 Prozent
der 70 Fälle mit sporadischer CJK-Erkrankung mit Methionin
homozygot sind. Die bisher in Großbritannien untersuchten 88
Fälle mit nvCJK sind alle Methionin-homozygot: möglicherweise
ein locus minoris resistentiae.
Da
aber 40 Prozent der Allgemeinbevölkerung diesen Genotyp
repräsentieren, von denen nur ein kleiner Teil an CJK erkrankte,
könnte dies darauf hinweisen, dass Methionin-homozygot am Codon
129 nur ein möglicher Risikofaktor ist. So könnten andere,
bisher unentdeckte Gene außerhalb des Prionenprotein zum
erhöhten Erkrankungsrisiko beitragen. Wenn die zur Diskussion
stehende homozygote Genausstattung Hauptursache des
Erkrankungsrisikos wäre, müßte dies zu familiären Clustern
führen. Andererseits könnte es auch darauf hinweisen, dass nur
ein kleiner Anteil der empfindlichen Bevölkerung gegenüber einer
BSE-Infektion in Nahrungsmitteln, Medikamenten oder Impfstoffen
exponiert war.
Andererseits belegen Statistiken, dass jeder Brite etwa fünfzig
Fleischportionen mit Prionen gegessen hat. Die Zahlen
entsprechender Modellrechnungen bzgl. vermutlich inkubierter
Menschen liegen bei Tausend bis hinzu Millionen.
Bezüglich der Inkubationszeit kann aufgrund einer französischen
Studie (D´AIGNAUX) festgestellt werden, dass heterozygote Fälle
von iatrogener CJK (Wachstumshormon) eindeutig später erkrankten
wie homozygote Fälle.
IV
Hypothesen zum Ursprung von BSE:
-
1.
BSE wurde durch Scrapie-erkrankte Schafe verursacht, dies
evtl. als Ergebnis geänderter Herstellungsverfahren der
Tiermehlherstellung (niedrigere Temperatur, Lösemittel).
-
2.
BSE existiert bereits als seltene Erkrankung bei Rindern und
die Epidemie ist Folge der
Tiermehlverfütterungsgepflogenheiten (Kannibalismus in
Analogie zu KURU).
-
3.
BSE ist durch CJK verursacht.
-
4.
Organophosphat-Pestizide verursachen BSE (90 % der
Phosmet-Produktion weltweit in UK eingesetzt) (ROSENSTOCK,
SHERMAN).
-
5.
BSE ist mit einer lyosomalen Speicherkrankheit verwandt.
-
6.
Insekten und Fliegen übertragen evtl. Prionen-Infektionen
horizontal.
-
7.
Veränderungen der Tierfütterung in den frühen 80er Jahren:
-
- Zunehmender Anbau von Raps und Verfütterung an
Tiere. Raps enthält
hohe Konzentrationen an Selen. Selen ist möglicherweise
neurotoxisch.
-
-
Zusammenhang zwischen BSE und einer seltenen Erkrankung
von Pferden (Alkaloid-Vergiftung durch Futter,
Jakobskraut).
- Toxizität von Molybdän im Zusammenhang mit der
lysosomalen
Speicher-Krankheit.
-
-
Import tropischer Knochen (z.B. Gazellen), die in
zunehmendem
Ausmaß Anfang der 80er Jahre zur Proteingewinnung für
Tierfutter
dienten.
-
-
Mangel an Kupfer in Rinderfutter mit nachfolgender
Beeinträchtigung
des Immunsystems.
-
8.
Autoimmunerkrankung als Ursache BSE-bedingter Hirnschäden?
-
9.
Veränderungen der PrP-Glykolyse durch
Alkaloid-Glykolyse-Inhibitoren (AGI)
-
10. Chemie-Unfall in Kent (1960) in einer Firma (Rentokil),
welche hochtoxisches Methylbromid und Fluoracetamid
herstellte. Viele Todesfälle bei Rindern und Kontamination
des Grundwassers mit Spitzenwerten in 1963 waren die Folgen.
-
11. Chemikalien bedingte Interaktionen, welche die
Konfiguration von PrP-Molekülen ändern (Disulfid-Brücke)
bzw. begünstigt (Alpha- in Beta-Struktur). Ammoniak müßte
hier ebenfalls bedacht werden (MACKINSON, PATTEN, SINGER).
-
12. Illegaler Einsatz von Wachstumshormonen in
Großbritannien. Analog den vielen Fällen von iatrogenen
CJK-Erkrankungen beim Menschen in Folge Verabreichung von
kontaminierten Wachstumshormonen könnte dies den
epidemiologischen Sachverhalt am besten erklären:
Plötzlicher Ausbruch von BSE im Südosten von Großbritannien
und fast gleichzeitige Ausbreitung im gesamten Land.
-
13. Störungen der Proteinfaltung durch Fehlfunktionen der
Hitzeschockproteine (HSPs) und der molekularen Chaperones
(BUCHNER, ELLISI).
-
14. Inhalative Belastungen mit prionenhaltigen Stäuben
(Tiermehl, Hornmehl, Verbrennungsabgase) könnte die
auffällige Häufung mancher Berufsgruppen (Bauern, Gärtner
etc.) erklären (GORE).
15.
Ist BSE ein Inzuchtproblem? Durch gezieltes Herauszüchten einer
genetischen Disposition zu hoher Milchproduktion (als einer
vom
Menschen gewünschten Eigenschaft) wurde gleichzeitig und
zufällig
die genetische Disposition zur spongiformen Encephalopathie
herangezüchtet (SCHOLZ)
V.
Molekularbiologie der Prionen
Stanley PRUSINER hat 1982 den Begriff "Prion" eingeführt, um die
proteinähnlichen infektiösen Partikel, die Scrapie verursachen,
von Viroiden und Viren zu unterscheiden. Weitere
wissenschaftliche Untersuchungen in den folgenden Jahren haben
die anfängliche Hypothese über die Struktur der Prionen und den
Mechanismus der Replikation aufklären können. So muss
zwischenzeitlich angenommen werden, dass die Prionen eine neue
Klasse pathogener Partikel sind.
Sicher
ist, dass diese Prionen übertragbare und genetische
neurodegenerative Erkrankungen inklusive Scrapie, BSE bei Tieren
und CJK-Erkrankungen beim Menschen verursachen. Diese
infektiösen Prionen-Partikel bestehen zum großen Teil, wenn
nicht vollständig, aus einer abnormalen Isoform des
natürlicherweise in Säugetieren vorkommenden Prionenproteins,
welches durch ein chromosomales Gen kodiert wird. Der infektiöse
Prozess besteht darin, dass das normale zelluläre Prionenprotein
aus seiner Alpha-Struktur in die pathogene Beta-Struktur
verändert wird.
Gestörte Proteinfaltung?
Der
Entdecker von zellulärem Prionenprotein und pathologischem PrPSc
David BOLTON beschreibt, dass Prionen keine Nukleinsäure
enthalten. Der Mathematiker J. S. GRIFFITH hat bereits 1967
darüber spekuliert, dass die Replikation einer pathogenen
Substanz ohne Nukleinsäure im Genom möglich sein könnte. Gene
bestehen aus Nukleinsäuren. Die Nukleinsäuren enthalten und
übertragen genetische Information in allen bekannten Organismen.
In der Tat beruhte diese Hypothese auf den bekannten
Eigenschaften von Proteinen, dass ein nicht richtig gefaltetes
Protein-Molekül die Faltung anderer Proteinmoleküle verändern
kann und hierdurch die biologischen Eigenschaften verändert
werden können.
Aufgrund molekularbiologischer Untersuchungen der letzten Jahre
mehren sich die Hinweise, dass möglicherweise die Kontrollen der
Proteinfaltungen durch Hitze-Schock-Proteine und Chaperones
nicht ausreichend funktionieren und damit fehlgefaltete Proteine
in der Zelle wie Müll abgelagert werden (BROWN, BUCHNER,
HOOGENRAAD, JAUMANN, KENWARD, LINQUIST, MORIMOTO).
VI.
Medizinische Relevanz
A.
Arzneimittel
Bei
sicherheitsrelevanten Betrachtungen von TSE-Erkrankungen ist
eines der Hauptprobleme die extreme Stabilität der Prionen (Tab.
5). So wurden bereits in den 80er Jahren Maßnahmen zur Erhöhung
der Inaktivierung infektiöser Kontaminationen diskutiert
(DEALLER, 1990). Die europäische Kommission hat 1991 eine
"Richtlinie zur Minderung des Risikos der Übertragung von
Erregern spongiformer Encephalopathien durch Medizinalprodukte"
veröffentlicht (siehe DINGERMANN). Desweiteren wurde seitens des
ehemaligen Bundesgesundheitsamtes 1994 eine "Bekanntmachung der
Sicherheitsanforderungen an Arzneimitteln aus
Körperbestandteilen von Rind, Schaf oder Ziege zur Vermeidung
des Risikos einer Übertragung von BSE bzw. Scrapie"
veröffentlicht. In dieser werden konkrete Anforderungen an die
pharmazeutische Qualität von Arzneimittel und deren
Dokumentation sowie an ihre Anwendungsbestimmungen formuliert.
Kern dieser Bekanntmachung ist ein Konzept zur quantitativen
Bestimmung der Sicherheit individueller Arzneimittel (siehe
DINGERMANN).
Das
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat im
September 1995 für noch nicht erfasste, aber relevante
Arzneimittel einen Bescheid "Abwehr von Arzneimittelrisiken,
Stufe II" erlassen.
Derzeit kommt noch immer ein großer Teil der auf dem Markt
befindlichen Arzneimittel im Verlauf der Produktion mit
Rinderprodukten in Berührung. So werden zum Beispiel Sera vom
Kalb als sogenannte Produktionshilfsstoffe für Zellkulturen
verwendet. Laktose als Bindemittel enthalten mehrere Tausend
Arzneimittel; weitere 4 bis 5 Tausend sind mit Gelatinekapseln
umhüllt. Magnesium-Stearat (u.U. Rinderfett + Magnesium) dient
ebenfalls als Bindemittel. Der Proteinasehemmer Aprothinin (z.B.
Trasylol) wird aus Rinderlunge gewonnen. So finden sich
selbstverständlich in den Organtherapeutika oder den zum Teil
noch immer eingesetzten Rinderinsulin weitere potentiell
kontaminierte Substanzen.
Das
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat
mit Schreiben vom 30.11.2000 die bisherigen Empfehlungen den
aktuellen Gegebenheiten angepasst, nachdem auch in Deutschland
BSE-Fälle bekannt wurden. Der Umsetzung des Stufenplans zur
Beurteilung aller Arzneimittel hinsichtlich der BSE-Sicherheit
seit 1995 soll dazu führen, dass bis zum 1.3.2001 - auch
aufgrund einer EU-Auflage - alle Arzneimittel hinsichtlich ihrer
BSE-Sicherheit zertifiziert bzw. dokumentiert sind.
Anlass
zur Sorge gibt aber der Bericht der US-amerikanischen Behörden
CDC (Center of Disease Control) und FDA (Food and Drug Agency),
die im Dezember 2000 warnten, weiterhin Grundstoffe von Rindern
für Medikamente und Plasmaprodukte zu nutzen. Es gibt
offensichtlich Hinweise (insbesondere aus Großbritannien), dass
die angeblich sicheren Herstellungsverfahren, wie bei der
Gelatine (längere Zeit Lagerung in Natronlauge, dann
Schwefelsäurebad und anschließend 20 Minuten bei 133 Grad
Celsius und 3 Bar Überdruck "autoklaviert"), nicht immer
eingehalten werden. Derzeit werden in Europa etwa 1 Million
Tonnen Gelatine pro Jahr hergestellt. Für die Herstellung dürfen
laut BGVV (Bundesinstitut für Gesundheitlichen Verbraucherschutz
und Veterinärmedizin) genusstaugliche Tiere verarbeitet werden.
Hierbei dürfte von Bedeutung sein, dass die Rindergelatine nur
in Nahrungsmitteln durch Schweinegelatine ersetzbar ist.
Gelatinekapseln müssen mindestens 3 Jahre elastisch bleiben und
dies ist nur mit Rindergelatine möglich (SEUFFER). Deshalb
stellt sich die Frage: Was ist mit Tieren in der
Inkubationszeit?
B.
Impfstoffe (Seren)
Nach
Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts sind in Deutschland
zugelassene Polio-Impfstoffe von der Maßnahme der britischen
Gesundheitsbehörden nicht betroffen. In England mussten die
Gesundheitsbehörden einen Impfstoff gegen Kinderlähmung (Polio)
vom Markt nehmen. Dies deshalb, da sich zeigte, dass bestimmte
Chargen aus dem Jahr 1986 noch im Jahr 1998 in den Verkauf kamen
und Menschen (Kinder) geimpft wurden. Die Hersteller betonen
immer wieder, dass sie die Einschätzung des
Gesundheitsministeriums (Department of Health) teilen, dass ein
Risiko "unkalkulierbar klein" sei, über eine Impfung infiziert
zu werden. Andererseits muss gefragt werden, wenn in
Großbritannien 37,5 Prozent der Rinderherden infiziert sind, wie
dann sichergestellt werden soll, dass kein in der
Inkubationszeit befindliches Material (fötales Kälberserum) in
den Produktionsprozessen eingesetzt wird.
Nachdenklich macht, dass Sir Richard Southwood, Vorsitzender der
1. BSE-Anhörung 1988, damals an das CSM (Committee of Savety of
Medicines) geschrieben hatte: Es sei klar geworden, dass das
größte Risiko für eine humane Übertragung in der Injektion
kontaminierter Impfstoffe bestehe (Mai 1988)*. Trotzdem wurden
Impfstoffe aus dieser Zeit bis 1993 weiter verabreicht,
inklusive Impfungen gegen Masern, Mumps, Röteln, Diphtherie,
Tetanus und Keuchhusten. Das Gesundheitsministerium verteidigte
dies damit, dass durch einen sofortigen Stopp das Risiko einer
Epidemie bestanden hätte und der Tod von Kindern hätte
befürchtet werden müssen.
Dieses
Risiko sei real, während die Übertragung von BSE auf den
Menschen als "eher theoretisch" anzusehen wäre.
Aufgrund der Entwicklungen in Großbritannien bzgl. dem
Polio-Impfstoff und den ersten BSE-Fällen in Deutschland haben
die US-Behörden CDC und FDA im Dezember 2000 umgehend Maßnahmen
ergriffen. Dies obwohl es
* TIMES, London (Nigel Hawkes, 21.10.2000)
bisher
keine Hinweise für eine Übertragung von BSE auf Menschen durch
Impfungen gebe. Die Stellungnahme und die Empfehlungen an die
Ärzte in
den
USA zeigt, dass eine grundsätzliche Neuorientierung der Behörden
besteht, weg von der Risikoanalyse hin zu präventiven Maßnahmen
C.
Blutprodukte-/Tranfusionen
Im
September 2000 wurden erstmals wissenschaftliche Belege für eine
mögliche Ansteckung mit BSE bzw. Übertragung durch infiziertes
Blut von Forschern des britischen Institute for Animal Health
(IAH) vorgelegt. Sie verfütterten BSE-verseuchtes Rindfleisch an
Schafe und injizierten deren Blut - bevor irgendwelche
Krankheitssymptome erkennbar waren - an Schafe
in Neuseeland. Zwei Jahre später war eines davon an BSE erkrankt
(BOSTOCK, CHONG, FOSTER, HOUSTON, HUNTER).
Aufgrund dieser Daten hat das für Blutseren und Impfstoffe
zuständige Bundesamt (Paul-Ehrlich-Institut) entschieden, dass
alle Personen, die sich mehr als 6 Monaten in den Jahren 1980
bis 1996 in Großbritannien aufgehalten haben, nicht mehr als
Blutspender zugelassen werden. Diese sechs-Monats-Grenze basiert
auf Berechnungen der amerikanischen Behörde FDA und hat zur
Folge, dass in Deutschland nur 0,2 Prozent potentieller
Blutspender ausgeschlossen werden müssen.
Als
weitere zusätzliche Maßnahme für die Sicherheit von
Blutpräparaten werden ab dem 1.10.2001 die Leukozyten
herausgefiltert. Dies deshalb, da Leukozyten und möglicherweise
auch Lymphozyten (COLLINGE, 1998) Träger der entarteten Prionen
sind. Zwar besteht durch den Filterungsprozess wiederum die
Gefahr, dass einzelne Leukozyten (AGUZZI, 2000) beschädigt
werden und Prionen freigesetzt werden. Insgesamt werde aber das
Risiko noch weiter verringert. In diesem Zusammenhang dürfte von
Interesse sein, dass Leukozyten heute schon in vielen
Einrichtungen
standardmäßig herausgefiltert werden, da sie bei
immungeschwächten Patienten Abwehr- und
Unverträglichkeitsreaktionen verursachen können. (LEE)
D.
Gefährdung medizinischen Personals
Die
statistischen Daten aus Großbritannien mit derzeit 102 an
nvCJK-Erkrankten und jährlich ansteigenden Todesfällen sind
Hinweis auf eine bevorstehende Epidemie (ANDREWS). Trotzdem sind
die Ausmaße der bevorstehenden Epidemie noch sehr unklar, die
Schätzungen liegen zwischen einigen Hundert bis zu einigen
hunderttausend Erkrankten. Dies aufgrund der noch immer unklaren
Dauer der Inkubationszeit, den unklaren Infektionswegen, der
genetischen Veranlagungen und Resistenz, und ob möglicherweise
Umweltfaktoren Einfluss haben. In einer immunhistochemischen
Studie (IRONSIDE) an Zufallsstichproben von über dreitausend
Tonsillen und Appendices konnte kein pathologisches
Prionenprotein nachgewiesen werden. Dieses negative Ergebnis
beruhigt nur wenig, da die Probenzahl relativ klein ist. Hinzu
kommt, dass die Autoren darauf hinweisen, dass das Ausmaß der
Epidemie, vorausgesetzt dass ihr Test in den letzten 75 Prozent
der nvCJK-Inkubations-Periode die Infektion nachweisen kann, von
mehreren Millionen Fällen auf etwa hundertfünzigtausend Fälle
reduziert wäre (GHANI). Seit Ende 2000 wurde von der
Ethik-Kommission der Universität London eine Studie genehmigt
(COLLINGE), bei der anonyme Testungen von Tonsillen auf
pathologische Prionen (PrPSc) erfolgt.
Aufgrund obiger Sachverhalte muss erwartet werden, dass
medizinisches Personal bei Routineuntersuchungen, Blutabnahmen,
endoskopischen Untersuchungen und bei Operationen mit klinisch
unauffälligen, jedoch bereits inkubierten Menschen, in Kontakt
kommt.
Es
besteht aber nicht nur Gefahr, dass Patienten möglicherweise
medizinisches Personal bzw. nachfolgend andere Patienten
infizieren, sondern auch die Gefahr, dass ein Patient durch
kontaminierte Instrumente oder infektiöse Materialien (Dura
mater, Herzklappen, Catgut-Faden) infiziert wird. Die
Problematik von Dura mater-Implantaten ist seit Jahren erkannt.
Sorge bereitet aber noch immer das Catgut-Fadenmaterial, welches
aus Dünndarm hergestellt wird und somit durchaus lymphatisches
Gewebe enthalten kann. In Großbritannien ergaben Gespräche mit
Firmen, dass für die Produktion von 25 Millionen Meter
Nahtmaterial (Catgut) jährlich die entsprechenden Gewebe von
fünfhundertfünfzigtausend Rindern benötigt werden. (Herstellung
von Catgut durch BGVV in 2001 verboten worden!)
Als
Ursache für iatrogene CJK-Erkrankungen sind stereotaktische
Operationen, EEG-Elektroden, neurochirurgische Operationen,
Hornhauttransplantationen, Dura mater (BROWN) und durch
Perikard-Implantate nach Tympanoplastik (TANGE) bekannt.
Eine
besondere Gefährdung besteht bei Tonsillektomien und
Blinddarmoperationen. In einer Studie (HILTON) bei
Tonsillenbiopsien bei zwanzig vermuteten CJK-Fällen wurden die
Biopsate histopathologisch auf die charakteristischen
protease-resistenten Prionenproteine und
Prionproteinglykolyse-Muster, wie sie bei nvCJK gesehen werden,
untersucht. Bei acht Tonsillenproben wurden positive Teste
festgestellt. Diese Patienten wurden letztendlich als
nvCJK-Fälle bestätigt. Alle anderen Biopsate waren negativ für
die Untersuchung auf protease-resistente Prionenproteine und
bestätigten sich später als Fälle von sporadischer CJK oder
iatrogener CJK. Es gab kein falsch negatives Resultat in
den nvCJK-Fällen.
Ein
Beispiel von besonderem Interesse bzgl. dem anstehenden Ausmaß
der nvCJK-Epidemie ist der Fall Nr. 79 in den offiziellen
Statistiken der nvCJK-Erkrankten. Die Symptome begannen im
November 1999. Ihre Appendektomie hatte vierzig Monate früher im
Jahr 1996 stattgefunden und der Appendix war konserviert worden.
Die Untersuchung des Appendix auf pathologische Prionenproteine
bestätigte pathologische Prionen. Also betrug die
Inkubationszeit wenigstens vierzig Monate. Bei dem Fall eines
Mannes der Küstenwache war die Situation ähnlich, während bei
einem dritten Fall der Appendix elf Jahre zuvor entfernt wurde
und die Nachuntersuchung des Appendix negativ war.
Aufgrund dieser Sachverhalte hat die britische Regierung und der
NHS (National Health Service) mit dem 5.1.2001 ein
Sofortprogramm gestartet und 200 Millionen Pfund für die
Modernisierung und Verbesserung der Abfallbeseitigung und
Sterilisationseinheiten in den Krankenhäusern des NHS zur
Verfügung gestellt. Ebenso sollen vollautomatische
Reinigungsmaschinen für chirurgische Instrumente angeschafft
werden.´
Ein
weiteres Programm stellt 25 Millionen Pfund im Jahr für
operative Einweginstrumente bei Tonsillektomien zur Verfügung.
Der
Gesundheitsminister John Denham sagte hierzu: "Wir haben keine
Hinweise, dass irgendein Patient im Krankenhaus mit nvCJK
infiziert wurde. Aber wir lernen noch immer über nvCJK und
sollten deshalb Vorsichtsmaßnahmen treffen, um das theoretische
Risiko der Übertragung auf Patienten zu reduzieren."
Diese
Maßnahme ist sicher zu begrüßen, da Wissenschaftler der
Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Collinge in London schätzen, dass
wenigstens zehntausend Briten mit der Krankheit inkubiert sind
und es zehn Jahre oder länger dauern kann, bis Symptome
auftreten. Desweiteren wird vermutet, dass möglicherweise die
Hälfte der Tonsillektomie-Instrumente in Großbritannien
kontaminiert sein könnten.
E.
Desinfektion (Instrumente etc.)
Im
Januar 2001 hat sich die britische Regierung zu obigen
kostenträchtigen Schritten entschlossen. Dies aufgrund
theoretischer Risiken.
In
deutschen Kliniken (und Praxen) sind die Methoden der Reinigung,
Desinfektion und Sterilisation ähnlich:
1.
Vorreinigung in einem Ultraschallbad (vielerorts Standard, ist
aber nicht
vorgeschrieben)
2.
Reinigung in einer Spezialspülmaschine
3.
Vakuum-Dampfsterilisation
Fazit:
auch nach solch aufwendigen Reinigungs-/Desinfektionsprozessen
können noch organische Reste auf angeblich sauberen Oberflächen
verbleiben. So ergab eine Studie an fünf Berliner
Krankenhäusern: "...etwa die Hälfte der Instrumente weist
abspülbare Proteine auf...". Auch Prionen sind Proteine.
Konsequenz:
es muss über verbesserte Reinigungs-/Sterilisationsverfahren
nachgedacht werden oder der Schritt zu Einmal-Instrumenten ist
nicht zu umgehen (Tab. 6).
Hintergrund:
Leider
gibt es noch immer keine diagnostischen Verfahren bzgl. der
neuen Variante von CJK, welches eine Diagnose der inkubierten
Menschen ermöglicht. Erst mit Ausbruch der Erkrankung greifen
diverse diagnostische Möglichkeiten.
Die
Übertragungswege neben der Inokulation beinhalten insbesondere
die Aufnahme der "infektiösen" Partikel über die Darmwand mit
Hilfe der B-Lymphozyten. Nach AGUZZI erfolgt diese Invasion in
zwei Schritten. Die Partikel erreichen innerhalb von Stunden das
lymphoretikuläre System. Dort verbleiben diese Partikel relativ
lange Zeit. Danach folgt die Phase 2 der Invasion des zentralen
Nervensystems im Sinne einer afferenten Erkrankung, wo
immunologische Vorgänge (B-Lymphozyten, Makrophagen)
entscheidend beteiligt sind.
Langjährige wissenschaftliche Untersuchungen und Analysen der
Struktur der Prionen von RIESNER zeigen, dass diese nur zu ca.
90 Prozent aus Protein bestehen. Die restlichen Anteile sind
Lipide (GAL-Zerebroside, Sphingomyelin, Cholesterol) und
hochkomplexe Kohlenhydrate (Polyglukose-Gerüst). Die Rolle
dieser Begleitstoffe in der Infektiosität der Prionen-Partikel
sind derzeit noch nicht eindeutig geklärt, scheinen aber
wichtige potentielle "Ko-Faktoren" für die Ausbreitung und
Infektiosität der Prionen zu sein. So zeigte sich, dass nach
völliger Zerstörung aller Proteine, das verbliebene Gerüst aus
Kohlenhydratbausteinen noch immer infektiös war.
Bei
einer Tagung zum Thema "Biologische Grundlagen von BSE und CJK"
im Februar 2001 in der kassenärztlichen Vereinigung
Nord-Württemberg waren sich die Experten AGUZZI, RIESNER und
DEALLER (GB) bzgl. der Desinfektion medizinischer und
chirurgischer Instrumente dahingehend einig, dass eine Reinigung
und Sterilisation bei 134 Grad Celsius, 4000 hPa bei mindestens
20minütiger Haltedauer und ausreichend Wasserdampf völlig
ausreichend sei.
Zur
Frage der Einmalinstrumente wurde eindeutig geklärt, dass die
Forderung von Einmalinstrumenten für ausgewählte Operationen
wenig sinnvoll sei, da bei jeglicher Operation lymphatische
Strukturen im Gewebe (s.o.) tangiert werden und somit rein
theoretisch jegliches chirurgisches Instrument kontaminiert sein
könnte.
Spezielle Reinigung:
Bzgl.
der Reinigungsverfahren ist dringend darauf zu achten, dass
keine Reinigungslösungen mit Aldehyden benutzt werden, da diese
durch Umstrukturierung der Partikel dazu beitragen, dass diese
noch besser an chirurgischem Stahl anhaften. MANUELIDIS und
Mitarbeiter berichteten bereits 1997 von einer kommerziell
erhältlichen Desinfektionslösung (mit Guanidin (GdnSCN), welche
auch feine Edelstahlinstrumente nicht korrodiert. Mit dieser
Lösung behandelte Instrumente konnten keine Infektion mit CJK,
auch bei intracerebraler Inokulation, weitergeben. Allerdings
bestehen nach meinen Informationen Gefährdungen des Personals,
da bei zu starker Erwärmung der Lösung Blausäure frei wird.
Die
derzeitige Desinfektion von Instrumenten besteht im wesentlichen
aus drei Verfahren, die nicht problemlos sind:
-
1.
Einlegen in Desinfektionslösungen. Ein Verfahren, welches
viele Feininstrumente aus Edelstahl korrodieren kann.
-
2.
Verlängertes Autoklavieren, eine Methode, die für viele
große Instrumente oder große Oberflächen und viele
Desinfektoren nicht durchführbar ist. In vielen Kliniken
müssten evtl. weiter Desinfektoren (Steri) angeschafft
werden.
-
3.
Einlegen in konzentrierten Alkalilösungen, wie 0,1 bis 1 M
NaOH. Diese Lösungen sind ebenfalls korrodierend für
Instrumente und Oberflächen, hinzu kommt die Gefahr
erheblicher Hautverletzungen beim Bedienungspersonal.
Das
Robert-Koch-Institut (RKI Berlin) hat im März 2001 folgenden
Diskussionsvorschlag veröffentlicht:
"Ohne
erkennbaren ausdrücklichen Verdacht auf CJK oder vCJK:
Aufbereitung aller Medizinprodukte unter strikter Beachtung der
geltenden Normen und der Empfehlung der Kommission für
Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (s. "Anforderungen
der Hygiene an die Aufbereitung von Medizinprodukten", Anlage
der Richtlinie für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention).
Besondere Bedeutung hat die sorgfältige Reinigung der
Instrumente unter Einsatz von aldehydfreien Reinigern mit
abschließender ausgiebiger Spülung mit Wasser Die "Anforderungen
der Hygiene an die Aufbereitung von Medizinprodukten" der
Richtlinie für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention
befinden sich gegenwärtig in der Überarbeitung. Mit der
Verabschiedung durch die Kommission für Krankenhaushygiene ist
in der 1. Hälfte des Jahres 2001 zu rechnen. Hinsichtlich des
Vorgehens bei Verdacht auf CJK oder vCJK wird auch in der neuen
Richtlinie auf die nach wie vor gültigen Empfehlungen (s. oben,
Bundesgesundhbl. 7/98 und
www.rki.de)
verwiesen werden. Eine Aufbereitung, die dem theoretischen
Risiko in den oben genannten operativen Fächern bzw. den
invasiven Techniken in der Gastroenterologie Rechnung trägt
(Prozedere II), würde eine sorgfältige Reinigung aller
Instrumente mit abschließender Autoklavierung bei 134°C für
mindestens 20 Minuten umfassen (Tab. 6).
Mit
der Verabschiedung der gegenwärtig in Überarbeitung befindlichen
Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und
Infektionsprävention zur Aufbereitung von Endoskopen ist
ebenfalls in der 1. Hälfte des Jahres 2001 zu rechnen. Auch hier
ist der Reinigung der Geräte besondere Sorgfalt zu widmen.
Hinsichtlich wirksamer Desinfektionsverfahren insbesondere für
die Aufbereitung thermolabiler, empfindlicher optischer
Medizinprodukte (z.B. Endoskope) besteht Forschungsbedarf.
VII. Forderungen:
Aufgrund der Entwicklungen in Großbritannien, Frankreich und der
Schweiz müssen einige wichtige Punkte in Deutschland in Angriff
genommen werden, um ähnliche Entwicklungen zu verhindern:
1.
Verstärkte Kontrollen bzgl. der getroffenen Anordnungen in
Lebensmitteln
(Wurst, Fleisch), Arzneimitteln und Impfstoffen
2.
Einführung einer rückhaltlosen Kennzeichnung aller Inhaltsstoffe
in allen
Nahrungsmitteln und Medikamenten
3.
Verbot aller Produkte, die aus oder mit Produkten von Rindern in
der
Medizin und Zahnmedizin hergestellt werden. Auch keine
Implantation
solcher Materialien.
4.
Bereitstellung von Forschungsgelder, um einen Paradigmen-Wechsel
hin
zu mehr Prävention zu ermöglichen.
5.
Bereitstellung von Forschungsgeldern, um neue Verfahren (z.B.
MANUELIDIS) zur sicheren Reinigung und Desinfektion zu
entwickeln.
6.
Bereitstellung von Geldern (Länder, EU), um neue Verfahren der
Diagnostik am lebenden Tier (und Menschen) zu ermöglichen und
erste
erkennbare therapeutische Konzepte weiter zu entwickeln.
VIII. Zusammenfassung, Ausblick:
Die
hier dargestellten Sachverhalte spongiformer Encephalopathien
und Prionenerkrankungen könnten den Anlass geben, dass die
Medizin möglicherweise Abschied von ihren traditionellen
Vorstellungen über Infektionskrankheiten nehmen muss.
Prionenerkrankungen sind übertragbar, aber nicht infektiös im
gängigen Sinne. Diese Krankheiten werden nicht durch Bakterien
oder Viren verursacht, sondern durch fehlerhafte, falsch
gefaltete Proteine, die von anderen Organismen aufgenommen
werden und hiermit eine fatale Reaktion in Gang bringen. Die
letzten Wochen und Monate geben bzgl. dieser durch industrielle
Nahrungsmittelproduktion verursachten Prionenerkrankung doch
Hoffnung. Dies deshalb, da das Bewußtsein der Öffentlichkeit,
der Politik sowie der medizinischen und wissenschaftlichen
Gesellschaften bzgl. der Gefahren diese Erkrankung stark
angewachsen ist.
Hinzu
kommt die Hoffnung, dass die Ereignisse in Deutschland dazu
beitragen mögen, dass sich Gesellschaft, Politik und
Wissenschaft nicht nur mit den Kurieren von Symptomen
beschäftigen, sondern sich zunehmend zu vorbeugendem Verhalten
und Prävention hinwenden.
Dr.
Michael P. Jaumann
P.S.
Das umfängliche Literaturverzeichnis kann beim Autor über
www.dr-jaumann.de
bzw. das Sekretariat E-mail: aboensch@aol.com angefordert werden |