Dr.
med. Michael P. Jaumann Einleitung:
In einem streitbaren Papier über die Macht des Rezeptblocks,
der Krankenkassen und der Patienten hat der rheinland-pfälzische
Sozialminister Florian Gerster sich dafür ausgesprochen, für
mehr Effizienz im Gesundheitswesen die kartellähnlichen
Strukturen aufzubrechen. Nur hiermit könnte seine Partei SPD
die nächste große Gesundheitsreform nach der anstehenden
Bundestagswahl realisieren.
"... das durch die Reformvorschläge eine intensive politische
und gesellschaftliche Diskussion ausgelöst wurde, ist zu
begrüßen. Zu begrüßen ist auch, dass die Schnittmenge der
Reformvorschläge größer ist, als zu Beginn der Debatte zu hoffen
war. Diese Schnittmenge, die in der Forderung nach mehr
Qualität und Effizienz, nach mehr Wettbewerb und
Patientenorientierung in der medizinischen Versorgung liegt,
bietet Chancen für eine grundlegende Gesundheitsreform nach der
Bundestagswahl im Herbst.... ."
".... an dem Grundsatz der Solidarität in der gesetzlichen
Krankenversicherung ist ausdrücklich festzuhalten. Der soziale
Ausgleich zwischen Kranken und Gesunden, Familien und
Alleinstehenden, Leistungsfähigen und weniger Leistungsfähigen
muss bestehen bleiben.... .
Das Solidarprinzip darf aber nicht mit einem Verzicht auf mehr
Eigenverantwortung gleichgesetzt werden. "Die Versicherten sind
für ihre Gesundheit mit verantwortlich" - dieser Klausel der
Sozialgesetzbuches (§ 1 SGB V) muss in Zukunft mehr Beachtung
geschenkt werden."
Nach den beseelten Vorstellungen von Herrn Gerster sollen im
Gesundheitswesen durch eine Strukturreform, die
marktwirtschaftlichen Steuerungselemente des Wettbewerbs und der
Eigenverantwortung gestärkt werden, dies aber nur soweit dies
dem Prinzip der Solidarität nicht zuwiderlaufe. Erstaunlich ist
auch, wie er den uneingeschränkten Wettbewerb unter den
Leistungserbringern, Ärzten und Krankenhäusern sowie den
Krankenkassen fordert. So könnten große Organisationen als
Nachfrage-Macht einen Wettbewerbsvorteil nutzen und neuartige
Versorgungsformen einführen. Hier spricht er vom Traum der
Krankenkassen endlich vom payer zum player (Bestimmenden) im
Gesundheitswesen zu werden.
Hier frage ich mich, ob Herr Gerster die Geschichte der
bundesdeutschen Bauindustrie in den letzten 20 Jahren nicht zur
Kenntnis genommen hat. Hier hat die Konzentrierung in großen
Baufirmen zu Anbieterkartellen, Preisdumping und nachfolgendem
Qualitätsverlust der Leistungen geführt. Viele mittelständische
Baubetriebe und freiberufliches Engagement sind auf der Strecke
geblieben.
Uneingeschränkter Wettbewerb
Dieser von Herrn Gerster favorisierte forcierte Wettbewerb
"würde angesichts sich zunehmend verengender
Verteilungsspielräume bei leistungsfähigen Ärzte und bei gut
geführten Krankenhäusern kaum auf Ablehnung stoßen. Sicher würde
es hierdurch zum Abbau von Überkapazitäten kommen, aber auch
zur Verbesserung der Qualität und der Wirtschaftlichkeit der
medizinischen Versorgung.... ."
Als leistungsbereiter und leistungsfähiger Arzt erfreuen mich
natürlich die Aussichten, dass mir in einem Wettbewerb aller
gegen alle, wie in den USA, neue wirtschaftliche Perspektiven
für meine Praxis eröffnet werden. Andererseits muss aber jedem
bekannt sein, dass die übermächtigen Versicherungen in den USA
durch Bankrotte mancherorts Hunderte und Tausende von
Versicherten ohne Versicherungsschutz zurückließen. Immer öfter
werden in den USA Notfälle in Krankenhäusern, die mit dem
jeweiligen Versicherer keinen Vertrag haben, nicht oder erst
verzögert behandelt. Hinzu kommt, dass Versicherer in den USA
ärztliche Entscheidungen durch ökonomische Vorschriften
beeinflussen - oftmals zum Nachteil der Patienten. Ob Herr
Gerster und seine Partei diese Entwicklung wünschen?
Ende der freien Arztwahl
Die Umverteilungsstrategen im Bundesgesundheitsministerium
scheinen manchmal zu übersehen, dass die anstehenden
Veränderungen mit Wettbewerb und Einzelverträgen gerade für
ältere Menschen und chronisch kranke Menschen schlimm sein
werden, weil sie durch diese Veränderungen ihre oftmals
langjährige Arzt-Patienten-Beziehungen abbrechen müssen. Mit der
Einführung dieses erweiterten Wettbewerbs wird es keine freie
Arztwahl und keine freie Krankenhauswahl in Deutschland mehr
geben!
Zuwendung statt Ökonomie Ich bin der Meinung, dass die
Bürgerinnen und Bürger in Deutschland nicht auf die freie
Arztwahl und die wohnortnahe ärztliche Versorgung, wie sie sich
seit Jahrzehnten bewährt hat, verzichten wollen. Den Verwaltern
im Gesundheitsministerium scheint zwischenzeitlich das Wissen
darum verloren gegangen zu sein, dass wir 120-tausend
niedergelassene Ärztinnen und Ärzte mit unseren knapp
500-tausend Mitarbeitern jährlich etwa 80 Millionen
Krankheitsfälle behandeln und betreuen. Diese Krankheitsfälle
sind kranke Menschen, die Zuwendung benötigen und keine Staats-
und Zuteilungsmedizin. Angesichts der Bestrebungen in
Deutschland einen Kassenversorgungsstaat einzurichten, wird der
Anspruch des Patienten auf individuelle Behandlung und Betreuung
kaum noch erfüllbar sein.
Dies entspräche ganz den Wunschvorstellungen des Vorsitzenden
der Dienstleistungsgewerkschaft VERDI, Herrn Frank Bsirske: die
Gebietsärzte sollen, wie früher in der DDR, an die
Krankenhauspolikliniken verpflanzt werden. Was wird dann aus der
bewährten flächendeckenden und wohnortnahen gesundheitlichen
Versorgung mit Hausärzten und Gebietsärzten unserer Bevölkerung?
Wen und was werden unsere Bürgerinnen und Bürger wählen?
Dr. M. P. Jaumann
18.2.02 |