Dr.
med. Michael P. Jaumann Einleitung:
Die strukturierten Behandlungsprogramme (englisch: Disease
Management Program = DMP) für Versicherte, die an chronischen
Krankheiten leiden, sorgen derzeit für viel Aufregungen
zwischen niedergelassenen Ärzten, den gesetzlichen
Krankenversicherungen und dem Gesundheitsministerium. Diese
Behandlungsprogramme wurden vor Jahren von US-amerikanischen
Wirtschaftswissenschaftlern und Krankenversicherungen zur
Kosteneinsparung entwickelt. Die derzeitige
Gesundheitsministerin und ihre Berater möchten diese im
deutschen Gesundheitswesen anwenden. Dies mit dem Ziel, durch
eine kontinuierliche fächerübergreifende Versorgung von
Menschen, die an chronischen Krankheiten leiden, mögliche
Komplikationen und Folgekrankheiten zu vermeiden. Hierdurch
sollen nach Einschätzungen der Politiker Kosten bei den
Krankenkassen eingespart werden. Bewiesen ist dieser
Sachverhalt bisher nicht. Von einigen Experten wird sogar
vermutet, dass über viele Jahre hinweg die Kosten für
Behandlungen hierdurch eher noch mehr ansteigen werden. So
werden die zusätzlichen Kosten für die Verwaltung dieser DMP bei
den Kassen ca. 3,5 Milliarden Euro im Jahr betragen.
Wer ist Steuermann?
Die strukturierten Behandlungsprogramme geben Leitlinien für
medizinische Maßnahmen vor und erfolgen nicht erst dann, wenn
der Versicherte nachfragt, sondern nach den Vorgaben der
Programme. Noch immer ist unklar, wer diese Inhalte steuern
soll. Der Arzt oder die Krankenkasse? In den USA ist dieser
Sachverhalt eindeutig gelöst: hier steuern die Kostenträger.
Dies hat aber zu teils erheblichen Nachteilen für Versicherte
geführt. Die Krankenkassen verfolgten primär ihre ökonomischen
Ziele. Die Gesundheit des kranken Menschen stand nicht mehr im
Vordergrund. Deshalb musste Präsident Bill Clinton ein
Patienten-Schutzgesetz erlassen.
Aus dieser Sachlage ergibt sich, dass die Krankenkassen auch in
Deutschland diese Behandlungsprogramme steuern wollen. Hierfür
benötigen sie eine Vielzahl von persönlichen, teils intimen
Daten der Patienten. Diese Daten sollen von den Ärzten an die
Krankenkassen gemeldet werden. Dies ist ein erheblicher, bisher
nie dagewesener Bruch mit dem Datenschutz und dem besonderen
Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Hinzu kommt ein
bürokratischer Aufwand von 30 Minuten pro
Patientendokumentation! Diese Zeit fehlt dem Arzt dann für
seine Patienten!
Diese schwierige Situation versucht der Gesetzgeber dadurch zu
umschiffen, indem er die Entscheidung des Versicherten, bei
einem solchen DMP mitzumachen, als "freiwillige Entscheidung"
bezeichnet. Aus meiner Sicht wird hier sehr schnell ein "Zwang"
durch die Krankenkasse werden. So hat der Gesetzgeber geplant,
dass Ärzte der Krankenkasse melden müssen, wenn ein Versicherter
die Teilnahme an einem Schulungstermin versäumt oder er zu einer
Kontrolluntersuchung nicht in die Praxis kommt. Dieses
"Verpetzen" lehnen die Ärzte ab.
Festlegung auf Mindeststandards
Die Gesundheitsministerin hat im letzte Jahr davon
gesprochen, dass durch die DMP ein "Durchbruch zu mehr Qualität
in der gesundheitlichen Versorgung" möglich werde. Nachdem
unter erheblichem Zeitdruck sowohl das Diabetes-Programm sowie
das Brustkrebs-Programm erstellt wurde, haben sachverständige
Ärztinnen und Ärzte scharfe Kritik geäußert. So sind im
Diabetes-Programm wichtige wissenschaftliche Fortschritte der
letzten 10 Jahre nicht ausreichend berücksichtigt worden! Dies
hat der Präsident der Bundesärztekammer Prof. Dr. Jörg Hoppe
scharf kritisiert: "Die medizinischen Inhalte der DMP
entsprechen bei weitem nicht dem heute bereits erreichten
Standard der medizinischen Versorgung in der kassenärztlichen
Praxis." So sei nach Prof. Hoppe "ein grundsätzlicher Fehler des
bisherigen Verfahrens, dass nur Mindeststandards
festgeschrieben werden."
Beschlüsse des Deutschen Ärztetages
Bzgl. dieser DMP haben der Deutsche Ärztetag und die
Kassenärztliche Bundesvereinigung folgende Beschlüsse gefasst:
-
Keine Lieferung von Behandlungsdaten an die Krankenkassen.
Der Steuermann muss die entsprechende Ärztin bzw. der
entsprechende Arzt bleiben.
-
Die zusätzlichen Verwaltungskosten und zusätzlichen Arbeiten
der Ärzte und Leistungen in den DMP bzgl. Arznei- und
Heilmitteln müssen von den Krankenkassen extra bezahlt
werden.
Ausblick
Grundsätzlich könnten dieses strukturierten
Behandlungsprogramme durch Schulung der Versicherten und der
Patienten eine Verhaltensänderung, insbesondere bzgl. der
wichtigen Risikofaktoren Nikotin und Alkohol, der Über- und
Fehlernährung sowie dem Bewegungsmangel ermöglichen. Dies
könnte in der Tat eine Verbesserung der Gesundheit des Einzelnen
nach sich ziehen und zum Beispiel die Einnahme von weniger
Medikamenten bewirken.
Ungeklärt aber sind die Risiken bzgl. der erheblichen Kosten bei
den Krankenkassen durch das Management der vielfältigen Daten.
Hinzu kommt, dass die Gefahr besteht, dass sich Krankenkassen
von "teuren" Patienten trennen werden. Es droht ein Wettbewerb
um gesunde Versicherte! Eigentlich wurden die Krankenkassen
ehemals für die Versorgung kranker Menschen gegründet.
Diese durch DMP drohende Risikoselektion von gesunden und
kranken Menschen wird von der Ärzteschaft abgelehnt.
Dr. M. P. Jaumann
6.8.02 |