Kritik an den "Eckpunkten zur Gesundheitsreform 2000"
mit Lösungsvorschlägen
Dr.
Michael P. Jaumann
Einleitung
Seit einigen Wochen liegen die Eckpunkte zur
Gesundheitsreform 2000 vor und bereiten den niedergelassenen
Ärztinnen und Ärzten in Deutschland großes Kopfzerbrechen. Die
kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hat leider bis heute
kein Konzept vorgelegt, wie die schwergewichtigen Punkte der
Kritik wirksam in die Öffentlichkeit gebracht werden könnten.
Ich habe hier zu den wichtigsten Themen eine kritische
Stellungnahme verfaßt und Lösungsvorschläge zur ambulanten
ärztlichen Versorgung innerhalb des Globalbudgets gemacht. Diese
Lösungsvorschläge würden gewährleisten, daß die
Leistungserbringer (Ärzte, Physiotherapeuten, Hebammen,
Logopäden etc.) nicht komplett dem Monopol Krankenkassen
ausgeliefert wären. Leider ist es auch im Gesundheitswesen wie
in der Wirtschaft, daß nämlich das Monopol gesetzliche
Krankenversicherungen (GKV) in Person von Herrn Knieps
(AOK-Bundesverband) Inhalte und Formen der Gesetzestexte
"vorgibt". Die Dominanz von Monopolen (Tab. 1) ist für unseren
Sozialstaat und die Gesellschaft gefährlich, auch im
Gesundheitswesen.
A. Schwerpunkte der Kritik:
I. Globalbudget
II.
Einkaufsmodelle
III. Verzahnung ambulant/stationär, Öffnung der Krankenhäuser
IV. Arzneimittel , Stärkung Hausarzt
ambulante Operationen
MDK
I.
Globalbudgets
-
Die Einführung des Globalbudgets ist kein neuer Aspekt, da
wir seit fast 10
Jahren die Ausgaben im ambulanten Bereich budgetiert sind.
Im Eckpunkte-Papier wird die Besonderheit des
Gesundheitswesen mit seinen expansiven Tendenzen als
Begründung für die Notwendigkeit einer globalen
Finanzsteuerung (Globalbudget) aufgeführt. Nur so könnten
die Beitragssätze dauerhaft stabilisiert werden.
-
Ein Globalbudget zur Ablösung der sektoralen Budgetierung
ist wichtig. Nur
dadurch kann das Prinzip "Geld folgt der Leistung"
realisiert werden.
3. Im Rahmen des Globalbudgets soll den Krankenkassen
die Möglichkeit
eingeräumt werden, durch Verträge mit
Leistungserbringern bestimmte sektorübergreifende und
innerhalb der Sektoren integrierende Versorgungsformen
als Regelversorgung (Einkaufsmodelle) zu finanzieren.
Beispiele für solche Versorgungsformen sind
- ambulante Operationen, erweiterte ambulante
Physiotherapie
- vernetzte Praxen (mit Krankenhaus)
- sonstige Verbünde von Leistungsanbietern
- andere Formen von patientenorientiertem Management.
Problematik des Globalbudgets
-
Ein Budget bedingt naturgemäß Einschränkungen von
Leistungen. Im
Bereich der ambulanten ärztlichen Versorgung besteht seit
1992 eine Budgetierung. Die ambulante ärztliche Versorgung
der Bevölkerung hatte in den letzten Jahren deutlich
geringere Steigerungsraten als andere Ausgabenbereiche der
gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) (Tab. 2). Trotz
steigenden Arztzahlen, größeren Fallzahlen und mehr aus dem
stationären Bereich verlagerten Leistungen (ambulante
Operationen, Kernspintomographien) war der Anteil für
ambulante ärztliche Behandlungen an den Gesamtausgaben der
GKV eher rückläufig (Abb. 1).
Die Einführung eines Globalbudgets kann nur dann akzeptiert
werden, wenn
gleichzeitig die Voraussetzungen dafür geschaffen werden,
daß der Grundsatz
"Geld folgt der Leistung", insbesondere in der
Richtung von stationär nach
ambulant realisiert werden kann.
Wenn über eine einnahmeorientierte Ausgabenpolitik
nachgedacht wird, so
können für einzelne Versorgungsbereiche seitens der Kassen
Budgetvor-
gaben gemacht werden, auf der anderen Seite muß aber geklärt
sein, wie
Überschreitungen behandelt werden (z.B. über
Leistungsbeschränkungen,
Steuerfinanzierung, Zuzahlungen).
-
Die Zunahme der Fallzahlen bundesweit hat mehrere
Ursachen und ist fast
logisch, da sich diese kostengünstige, wohnohrtnahe
Versorgungssystem durch Haus- und Fachärzte in der
Vergangenheit bewährt hat und von den
Bürgerinnen und Bürgern gewünscht wird. Hinzuweisen ist, daß
98 Prozent der Erkrankten im ambulanten Bereich behandelt
werden.
-
steigende Morbidität (Alter, falsche Ernährung,
Bewegungsarmut, hohe
Arbeits-/Umweltbelastungen),
-
Wettbewerb der Krankenkassen,
-
medizinischer Fortschritt mit neuen Leistungen (z.B.
endoskopische Operationen, ambulante Chemotherapie von
Krebskranken),
-
evtl. auch Chipkarte,
-
gestiegenes Patientenselbstbewußtsein (Einholen
Zweitmeinung),
-
mehr Prävention,
-
Medien.
Wenn der "gegenwärtige Versorgungsstandard" mit seinen
"umfassenden Versorgungsleistungen" erhalten bleiben
soll, bleibt unklar, wie dies angesichts der o.g.
Problematik realisiert werden soll.
Eine Möglichkeit wäre sicher die "Streichung
medizinisch fragwürdigerLeistungen und Arzneimittel
aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen" gewesen, wie
es ursprünglich im Eckpunkte-Papier der
Koalitionsvereinbarung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
gestanden hat.
Angesichts der nicht zu negierenden Dynamik im
Gesundheitswesen, insbesondere im ambulanten Bereich,
werden Leistungseinschränkungen unausweichlich
werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn es nicht
gelingt, Einschränkungen im stationären Bereich
durchzusetzen und damit Mittel für den ambulanten
Bereich freizustellen..
Diese anstehenden Einschränkungen (evtl. auch
Rationierung) werden die Menschen tagtäglich frustrieren
und zu einem weiteren Imageverlust für die
Koalitionsparteien führen, insbesondere für Bündnis
90/Die Grünen. Damit wird ein "zweiter Markt" entstehen,
der im Ergebnis eine Zweiklassenmedizin mit sich
bringen wird.
Bei Rationierungen werden erfahrungsgemäß
juristisch "unsichere" Behandlungsmethoden (Homöopathie,
alternative Heilverfahren) gestrichen und es bleibt nur
die "harte" Medizin erhalten.
II. Problematik "Einkaufsmodell"
-
Die Förderung integrierender Versorgungsformen als
Regelversorgung
ist zu begrüßen. Damit können einerseits
Rationalisierungsreserven
erschlossen und andererseits der "Ressourcenverbrauch"
optimiert werden.
-
Der bisherige Entwurf der "Eckpunkte zur Gesundheitsreform
2000" stärkt in erheblichem Maße die Position der
Krankenkassen (GKV).
Es
muß gefragt werden, wie sich dieses Monopol GKV auswirken
wird, wenn andererseits die Leistungserbringer zersplittert
und deren bisherige Vertretungen (Kassenärztliche
Vereinigungen) zu einer reinen Verwaltung umgestaltet
werden. Im Prinzip bedeutet dies Monopol gegen
mittelständische Kleinbetriebe.
-
Einkaufsmodelle einzelner Leistungserbringer und von Gruppen
(z.B.
Praxisnetzen) durch die Krankenkassen sind abzulehnen, da
-
die freie Arztwahl vom Patienten auf die Krankenkasse
übertragen wird,
-
die Leistungserbringer (Arzt, Physiotherapeut,
Diätassistentin, Hebamme
etc.) bei Einzelverträgen der Krankenkasse unterlegen sind,
-
in
den jeweiligen Verhandlungen das Preis-/Leistungsspektrum
seitens
der Krankeknasse diktiert werden kann,
-
eine Mehrklassenmedizin (regional, lokal) durch den
Wettbewerb der
Kassen untereinander droht und
-
eine Risikoselektion bezüglich Schwerkranker und chronisch
Kranker durch den verschärften Kassenwettbewerb ansteht.
Damit droht, daß dieser Wettbewerb ausschließlich über den
Preis bestritten wird und automatisch der billigste Anbieter
der "beste Anbieter" ist. Weiterhin droht, daß eine
Minderung in der Versorgungsqualität eintritt. Hinzu kommt,
daß über den Kostendruck die Art der einzuschlagenden
Therapie nicht mehr von den Patienten-Wünschen
(allopathisch, homöopathisch) geleitet wird, sondern
ausschließlich von den durch die Kassen vorgegebenen
gesetzlichen Rahmenbedingungen bestimmt wird. Diese Art "fremdbestimmter
Medizin" ist bereits in den HMO-Systemen der Vereinigten
Staaten tagtägliche Praxis.
-
Wettbewerb bedeutet auch Eliminierung von Mitbewerbern. Die
Konzentration in der Autobranche und Baubranche sind ein
Beleg, wie
Oligopole das Ergebnis des Wettbewerbs sind.
-
Einkaufsmodelle rufen branchenfremde Anbieter (z.B.
Lebensmittelkonzerne im Reha-Bereich) auf den Plan, so daß
der hypothetische Gewinn einer Gesundheitsdienstleistung
nicht mehr zwischen Leistungserbringern und Beitragszahlern
verteilt wird (z.B. mit dem Ziel der Beitragssenkung),
sondern ein Dritter, nämlich der Aktionär, am Geschehen
teilnimmt mit dem alleinigen Ziel der Gewinnmaximierung.
Damit droht die berufliche Vernichtung zahlreicher der
Koalition von SPD und Bündnis 90/Die Grünen nahestehenden
Leistungserbringern (Krankengymnastinnen, Masseuren,
Ergotherapeuten, Logopädinnen).
-
Eine gewünschte Leitlinien-Medizin, gleichgültig wie
man hierzu stehen mag, verbietet eine Konkurrenz über den
Preis, da eine sinnvolle Leitlinie so rigide gefaßt sein
muß, daß der Preis der Erfüllung der Leitlinie von
vornherein feststeht.
-
Leitlinien können zu mehr Leistungen führen (siehe Beispiel
USA).
-
Die qualitätsgesicherte Versorgung wird in vielen
Bereichen zu einem Ansteigen der Kosten führen. Ein
eindrucksvolles Beispiel hierfür ist die allergologische
Diagnostik und Therapie in den einzelnen Ländern Europas.
Das Primärarztsystem in England erbringt einerseits
20% weniger an allergologischer Diagnostik wie im
europäischen Durchschnitt, andererseits werden aber sechsmal
so viel Antiallergika verordnet. Der Vergleich der
Gesamtkosten kostet die allergologische Diagnostik und
Therapie im englischen Primärarztsystem das 23-fache! Bei
Realisierung einer qualitätsgesicherten Versorgung
allergologischer Patienten würde allein dieser Bereich
aufgrund des enormen Ausgabevolumens die Gesamtausgaben in
unserem Gesundheitssystem sprengen.
III. Verzahnung stationär/ambulant, Öffnung der
Krankenhäuser
Eine andere Verzahnung der Schnittstelle stationär/ambulant
durch dreiseitige Verhandlungen (KV, GKV, Krankenhaus) ist
vordringlich. Die von der SPD-Fraktion vorgeschlagene Regelung,
nur den hochqualifizierten Ärztebereich an den Krankenhäusern in
der ambulanten Versorgung zu ermächtigen, ist zu begrüßen. Er
entspricht nämlich bereits der derzeitigen Realität (eine
Ermächtigung der Ärzte im Krankenhaus ist zu befürworten,
abzulehnen ist die Öffnung der Institution Krankenhaus
für die ambulante Versorgung).
Ergänzend kann angedacht werden, den hierfür in Frage kommenden
Patientenkreis um besonders schwerwiegende chronische
Erkrankungen wie z.B. HIV- und Karzinom-Patienten auszudehnen,
sofern die Freiwilligkeit der Patienten-Entscheidung (Arztwahl
stationär oder ambulant) gewahrt bleibt und insbesondere die
persönliche Leistungserbringung durch den Krankenhausarzt
(Chefarzt, Oberarzt, Facharzt) garantiert ist.
Die
institutionelle Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante
Versorgung wirft insbesondere zwei Fragen auf:
-
Wird diese Möglichkeit von den Krankenhäusern aufgrund ihrer
Kosten- und
Organisationsstrukturen überhaupt genutzt werden können, um
mehr
ambulant und weniger stationär zu behandeln?
-
Kann das Mehr an hochqualifizierten fachärztlichen
Leistungen durch die entsprechenden Ärztinnen und Ärzte
erbracht werden? Oder werden in zunehmendem Maße wenig
erfahrene Assistenten diese Arbeit erledigen?
Insgesamt muß nach den bisherigen Erfahrungen bezweifelt
werden, daß der "Moloch Krankenhaus" von sich aus in
der Lage ist, die Anzahl der stationären Behandlungen zu
reduzieren (hinzu kommen Interessen der Gewerkschaften, der
Kreis- und Landespolitik). Es muß im Gegenteil befürchtet
werden, daß durch die institutionelle Öffnung mehr Patienten
für die stationäre Behandlung aquiriert werden (65% der
stationären Patienten in Berlin sind Selbsteinweisungen).
Ein Beispiel hierfür ist, daß obwohl die Anzahl stationärer
Operationen im Jahr 1995 um 600.000 gegenüber 1994
zurückging, die Fallzahlen in den Krankenhäusern nicht
abgenommen haben. Trotz weniger Operationen im stationären
Bereich und mehr Operationen im ambulanten Bereich sind
keine Geldmittel von stationär nach ambulant geflossen. Ganz
im Gegenteil wurden die leerstehenden Betten durch andere
Patienten belegt.
Dies gewinnt besondere Brisanz angesichts der Frage, ob
Deutschland im internationalen Vergleich eine zu hohe Anzahl
stationärer Betten hat und wie diese ggf. auf den
internationalen Durchschnitt zurückgeführt werden können.
Die damit freiwerdenden Geldmittel würden die Ausgaben und
Beitragssätze stabilisieren.
IV. Arzneimittel:
Die Budgetierung im Arzneimittel- und Heilmittelbereich
bereitet besonders große Probleme. Seit Lahnstein 1992
werden die zur Verfügung stehenden Mittel zur Versorgung der
Patienten, insbesondere im Heilmittelbereich, derart
beschnitten und reduziert, daß 1998 noch immer 300 Millionen
DM weniger Medikamente verordnet wurden als 1992. Dies trotz
einiger wichtiger medikamentöser Innovationen.
Es
wird immer wieder seitens der Krankenkassen und Politik
darauf hingewiesen, daß genügend Reserven in den derzeitigen
Arzneimittelbudgets zur Verfügung stünden. Es wurden aber
diese, in ihrer Wirkung "umstrittenen" Arzneimittel bereits
erheblich reduziert: so betrug deren Anteil an den
Gesamtausgaben für Medikamente im Jahre 1985 ca. 43% und lag
1998 nur noch bei 14%.
Aufgrund der stringenten Budgetierungen im Arzneimittel- und
Heilmittelbereich werden Leistungskürzungen zu reduzierten
Leistungen für die Versicherten führen, insbesondere im
Hinblick auf eine moderne Arzneimitteltherapie mit
Innovationen (Tab. 3), die vor allem chronisch Kranke
(Multiple Sklerose, HIV, Hepatitis, behinderte Kinder,
Krebskranke, Schlaganfallpatienten) benötigen.
Seitens der Politik und der Krankenkassen wird den
niedergelassenen Ärzten immer wieder vorgeworfen, zu viel
Innovationen zu verordnen. Hierzu ein Beispiel: würden
sämtliche an Multipler Sklerose, HIV und Hepatitis
erkrankten Patienten im Jahre 1999 nach den Kriterien der "Evidance
Base Medicine" behandelt, so würden die
Arzneimittelausgaben für diese drei genannten Erkrankungen
um mehr als drei Milliarden DM in 1999 steigen. Das Fazit
ist, daß eine drastische Verschlechterung der medikamentösen
Versorgung dieser Patienten unausweichlich scheint.
B. Lösungsvorschläge:
Die nachfolgenden Lösungsvorschläge können im Rahmen der
Selbstverwaltungen der gesetzlichen Krankenversicherungen
und der kassenärztlichen Vereinigungen erarbeitet werden.
Die Organisation in Selbstverwaltung ist ein konstitutives
Element der gesetzlichen Krankenversicherungen und der
kassenärztlichen Vereinigungen. Der Gedanke der
Selbstverwaltung entspricht einem gesellschaftlichen
Strukturprinzip, bei dem der Staat lediglich subsidiär
zuständig ist: den Bürgern sollte das, was sie einzeln oder
in Gruppen selbst erledigen können oder wollen, nicht ohne
zwingenden Grund vom Staat abgenommen werden. Dies bedeutet,
daß der Staat ausschließlich Rahmenbedingungen festlegt und
nur im Rahmen seiner Rechtsaufsicht eingreift.
Unter Berücksichtigung der oben angeführten Nachteile und
Probleme von Globalbudgets, Einkaufsmodellen, Öffnung der
Krankenhäuser und Verzahnung ambulant/stationär werden
seitens der Ärzteschaft folgende Lösungen vorgeschlagen.
Hierbei ist die Regelversorgung (Punkt 1 bis 3)
ergänzt um einen Sonderbedarf:
1.
Regelleistungsvolumina:
Die Vereinbarung arztgruppenbezogener Regelleistungsvolumina
(RLV) als Gesamtvergütungssystem zwischen den Krankenkassen
und den Kassenärztlichen Vereinigungen eröffnet die
Möglichkeit, differenzierte, am Bedarf orientierte und die
Versorgungsqualität definierende "Leistungspakete" auf der
Ebene der gemeinsamen Selbstverwaltung festzulegen. Hierbei
können auch unterschiedliche Versorgungsstrukturen
berücksichtigt werden.
Die RLV geben den zwischen den Partnern der gemeinsamen
Selbstverwaltung vereinbarten Leistungs- bzw.
Versorgungsstandard an und definieren ein regionales Budget.
Mehrleistungen werden nicht oder nach einem abgestaffelten
Modus vergütet (z.B. Mengenrabatt).
2.
Richtgrößen für Arzneimittel:
Vereinbarung arztgruppenbezogene Richtgrößen analog den
RLV (s. o.) und
eines Sonderbedarfs (s. Punkt 4) für besonders schwer
Erkrankte.
-
Richtgrößen für Heilmittel:
Vereinbarung für die jeweiligen Gruppen der
Leistungserbringer können in Anlehnung an die RLV
abgeschlossen werden (s. o.). Für besonders schwer Erkrankte
wird ebenfalls ein Sonderbedarf vereinbart (s. Punkt 4).
-
Sonderbedarf:
Im
Rahmen dieser Sonderbedarfsregelungen werden Patienten mit
schweren Erkrankungen wie Multiple Sklerose, HIV,
Tumorerkrankungen, mehrfach behinderte Kinder und
Drogenkranke außerhalb der Regelversorgung (RLV) von der
Krankenkasse bezahlt (s. Tab. 4).
-
Stärkung Hausarzt:
Der Vorschlag von Frau Fischer, die Lotsenfunktion des
Hausarztes dadurch zu stärken, indem Versicherten, die sich
freiwillig einem Hausarztsystem unterwerfen,
Beitragsreduktion gewährt wird, ist zu begrüßen. Im
Gegensatz zu den SPD-Vorstellungen eines Beitragszuschlags
bei Facharztbesuchen bewirkt der Vorschlag der
Beitragsreduktion bei freiwilligem Eingehen auf ein
Hausarztsystem keine Komponente der Zweiklassenmedizin.
-
Ambulante Operationen:
Der Katalog nur ambulant durchführbarer Operationen könnte
sich am bestehenden Modell in Hessen orientieren (Vertrag
AOK/KV). Gegen eine Genehmigung seitens der Krankenkasse
bestehen keine Einwände. Von den Vertretern der ambulanten
Operateure wird eine Begutachtung durch den MDK abgelehnt.
Die Begutachtung bzw. Zweitmeinung sollte durch einen
entsprechend qualifizierten Facharzt erfolgen. Zu überlegen
wäre, ob Fachärzte nicht im Auftrag des MDK tätig werden
können, um eine entsprechende Qualität der Begutachtung zu
sichern (Second opinion vor Operation).
Reale Modelle:
-
Die Kassenärztliche Vereinigung Nord-Württemberg hat mit der
AOK Baden-
Württemberg (1. Vorsitzender Roland Sing, entschiedener
Befürworter der Selbstverwaltung!) bereits 1997 bundesweit
richtungsweisende strukturierte Verträge zu obigen Punkten 1
bis 4 diskutiert und abgeschlossen. Solche Verträge sind
Erfolge der gemeinsamen Selbstverwaltungen und die
zukunftsfähigen Modelle!
Schlußbemerkung:
Das solidarisch finanzierte Gesundheitswesen ist seit
dem Beginn im 19. Jahrhundert fortentwickelt worden. Das Prinzip
der Solidarität hat sich bewährt, da wir Menschen eine
Individualnatur und eine Sozialnatur haben. Das
Solidaritätsprinzip fordert dabei nicht nur, daß die
Gemeinschaft dem Hilfsbedürftigen beisteht, sondern daß auch
gesellschaftliche Gruppen im Bewußtsein ihrer
Zusammengehörigkeit einen Ausgleich zugunsten der sozial
Schwächeren durchführen.
Ohne Eigenverantwortung zur Minderung von
gesamtgesellschaftlichen Belastungen ist die Solidargemeinschaft
nicht realisierbar. Eigenverantwortung wird also vom Einzelnen
nicht nur für sich selbst, sondern zugleich auch für die
Gesellschaft wahrgenommen.
Im
Sinne dieser aktiven Eigenverantwortung müssen die
Selbstverwaltungen der Ärzte erhalten bleiben. Die gemeinsamen
Selbstverwaltungen haben sich in den letzten Jahrzehnten
bewährt. Nur eine paritätisch mitbestimmte Selbstverwaltung aus
Ärzten, GKV und ggf. Patientenverbänden verhindert eine
fremdbestimmte Medizin nach Vorgaben der Krankenkassen und der
Politik.
So
könnte aufgrund der oben dargelegten Problempunkte die Politik
die regionalen Vertragsverhandlungen von GKV und KV durch die
Vorgabe einer obligatenRegelversorgung (analog der
einheitlichen Haftpflichtversicherung bei PKWs) anleiten. Die
Krankenkassen könnten, je nach Interessenlage, spezielle
ergänzende Leistungen mit den kassenärztlichen Vereinigungen
vereinbaren (erweiterter Sonderbedarf).
So
könnte mit der Definition einer Grund-/Regelversorgung
durch den reduzierten Leistungsumfang eine Absenkung des
Beitragssatzes erwartet werden, der dann deutlich unter dem
gegenwärtigen Beitragsniveau liegt. Hierbei muß davon
ausgegangen werden, daß diese Grund-/Regelversorgung als
Mindeststandard für alle Krankenkassen bundeseinheitlich
festgelegt wird.
Dr.
med. Michael P. Jaumann |