Mehrbedarf an Arzneimitteln begründet
Bemühungen um Einsparungen erfolgreich!
Dr.
med. Michael P. Jaumann
Einleitung
Seit
Jahren werden die niedergelassenen Ärzte von Vertretern der
Bundesregierung und der Krankenkassen kritisiert, dass sie
angeblich zu viel Arzneimittel, zu wenig Innovationen und zuviel
unnötige Arzneimittel verordnen. Von einigen Sachverständigen
der Bundesregierung wiederum kommt der Vorwurf, dass viele
Patienten mit zum Beispiel Alzheimer, Hepatitis C, Depressionen,
Multipler Sklerose oder auch Schmerzpatienten und Kinder mit
Leukämie sowie Patienten mit HIV (AIDS) in Deutschland noch
immer unterversorgt seien.
Die
Nachricht mag für Politiker und Krankenkassenfunktionäre nicht
bequem sein. Aber ein Mehrbedarf von rund drei Milliarden Euro
in der Arzneimittelversorgung ist aus diesen Gründen durchaus
real! Alleine für die Behandlung von Schmerzpatienten sind 1,2
Milliarden Euro zusätzlich nötig! Für die seit Jahren stetig
überdurchschnittlich steigenden Verwaltungskosten der Kassen ist
Geld immer vorhanden (Abb. 1).
Fazit:
Ein Mehrbedarf ist gegeben!
Einsparungen möglich?
Bei
der jährlichen Präsentation des Arzneiverordnungs-Reports (AVR)
rechnet dessen Herausgeber Herr Prof. Dr. Ulrich Schwabe
jährlich vor, wieviele Milliarden Euro in der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV) eingespart werden könnten, wenn die
Ärzte grundsätzlich das preiswerteste Arzneimittel verordnen
würden. Nach Meinung von Herrn Prof. Schwabe sollten sie das
vollkommen emotionslos und ohne Rücksicht auf Wünsche und
Eigenheiten von Patienten tun. Ganz aktuell bedeutet dies, dass
mit diesen Maßnahmen ca. zwei Milliarden Euro jährlich an
Arzneimittelverordnungen eingespart werden könnten.
Klar
ist für Herrn Prof. Schwabe auch, „die Kostenlawine hat nicht
nur medizinische Gründe“. Der Rekordumsatz von 21,3 Milliarden
Euro in 2001 sei vielmehr auch „das Resultat aus geschicktem
Marketing der Pharma-Industrie und planlosem Agieren der
Gesundheitspolitik“. Der prominente Pharmakritiker leitet das
Pharmakologische Institut der Universität Heidelberg.
Die
Entwicklung der Arzneimittelverordnungen ist in den letzten
Jahren stets rückläufig. Der Umsatzanteil an Generika am
generikafähigen Markt beträgt derzeit rund 70 Prozent. Der
Anteil der Reimporte wurde gesteigert und die „umstrittenen
Arzneimittel“ werden immer weniger verordnet. Daraus folgt, dass
die Zielvereinbarungen der kassenärztlichen Bundesvereinigung
(KBV) greifen.
In
Nord-Württemberg ist die derzeitige Situation besonders fatal.
Die Verordnungen von Arzneimitteln sind im Bundesvergleich
besonders niedrig (Abb 2). Durch die Einführung der Richtwerte
aufgrund der Bundesgesetzgebung besteht ein vereinbartes
Ausgabenvolumen 2002 von 765 Millionen Euro. Diese Ausgaben
werden voraussichtlich um 85 Millionen Euro überschritten. Dies
bedeutet eine Überschreitung von 11 Prozent! Betrüblich hierbei
ist, dass von diesen 11 Prozent Anstieg allein 4 Prozent durch
den Wechsel zu Innovationen und ca. 3 Prozent durch die
Preispolitik der Pharmaindustrie verursacht sind. Wir Ärzte aber
sollen mit unserem Honorar hierfür haften und werden öffentlich
der „Preistreiberei“ bezichtigt.
Entbehrliche Verordnungen?
Nach
dem AVR ist der Umsatz an Arzneimitteln 2001 zu Lasten der GKV
um 10.4 Prozent auf 21,3 Milliarden Euro gestiegen. Der Anteil
am Zuwachs von ca. 2 Milliarden Euro erklärt sich wie folgt:
-
1.
Einsatz innovativer Arzneien 724 Millionen Euro
(Cholesterinsenker, AT-Rezeptorantagonisten, atypische
Neuroleptika und weitere 8 Gruppen)
-
2.
Einsatz weiterer 7 Gruppen 609 Millionen Euro
(ACE-Hemmer, Zytostatika, Interferone)
-
3.
Der restliche Zuwachsanteil 690 Millionen Euro
wird überwiegend durch den Einsatz von Analogpräparaten
(Preispolitik Pharma-Industrie!) ohne therapeutischen Nutzen
bedingt. Hinzu kommen „entbehrliche“ Arzneimittel ohne
bisher belegte Langzeit-Evidenz.
Fazit:
vom ausgabenzuwachs 2001 sind laut Prof. Schabe also 2/3 mit
zusätzlichem medizinischen Nutzen verbunden.
Irrwitzige Forderungen der GKV-Spitzenverbände
Die
Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV)
fordern tiefgreifende Eingriffe in die Preisgestaltung von
Arzneimitteln, in die Handelsmarchen sowie die Wiedereinführung
der Arzneimittelbudgets. Dies angeblich, um drohende
Beitragssatzerhöhungen abzuwenden. So übergaben sie dem
Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, Dr. Klaus-Theo
Schröder, einen Forderungskatalog, aus dem die Bundesregierung
kurzfristig ein „Vorschaltgesetz“ erarbeiten soll:
-
1.
Einen staatlich verhängten Preisstopp und eine 10-prozentige
Preissenkung für nicht festbetragsfähige Arzneimittel in den
Jahren 2003 und 2004. Hierdurch sollen jährliche
Einsparungen von 800 Millionen Euro möglich sein. Die
Umsetzung einer vergleichbaren Regelung der Bundesregierung
hatte die Pharmaindustrie im Jahr 2001 durch eine
„freiwillige Einmalzahlung“ von rund 200 Millionen Euro
verhindert!
-
2.
Eine Senkung der staatlich festgesetzten Großhandelsspanne
von Arzneimittel mit einer Kappung der Zuschläge für
hochpreisige Präparate. Hierdurch wird ein Einsparpotential
von 300 bis 500 Millionen Euro errechnet.
-
3.
Die Wiedereinführung der Arzneimittelbudgets, welche die
Bundesregierung 2001 abgeschafft hatte
-
4.
Die Verknüpfung der vertragsärztlichen Vergütung mit der
Ausgabenobergrenze für Arznei- und Heilmittel
-
5.
Die gesamte Wertschöpfungskette vom Hersteller der
Arzneimittel über den Pharmagroßhandel bis hin zu den
Apotheken muss nach Sparmöglichkeiten durchforstet werden.
Es
macht keine Schwierigkeiten, sich die Auswirkungen dieser
Forderungen, wenn sie denn umgesetzt werden sollten,
vorzustellen. Dass hiermit standortpolitische und
volkswirtschaftliche Nachteile für die überwiegend
mittelständischen Arzneimittelhersteller verbunden sind, ist
klar. So müssten innovationsfreundliche und langfristig
verläßliche Rahmenbedingungen für die Arzneimittelhersteller
geschaffen werden, um langfristig eine Wettbewerbsfähigkeit des
Pharmastandortes Deutschland zu sichern.
Innovationen mit großer Dynamik
Die
Verordnungsmenge ging um ein Prozent zurück. Moderne Medikamente
ermöglichen neue Behandlungsmöglichkeiten und haben deshalb
entsprechende Zuwächse zu verzeichnen:
Immunsuppressiva + 30 Prozent
Zytostatika + 30 Prozent
Alzheimer-Präparate + 45 Prozent
Interferone + 28 Prozent
Virustatika + 25 Prozent
Diese
Erfolge innovativer Arzneimittel, mit der Konsequenz steigender
Arzneimittelkosten zeigen sich auch in anderen westlichen
Ländern:
Kanada
+ 16 Prozent
USA +
14 Prozent
Großbritannien + 12 Prozent
Spanien + 10 Prozent
Deutschland + 9 Prozent
Italien + 5 Prozent
Sparziele fast erreicht
Trotz
dieser Entwicklungen der Preisgestaltung einerseits und der
innovativen Medikamente andererseits sind die Gesamtausgaben für
Arzneimittel nur deshalb nicht extrem angestiegen, da
Sparerfolge eindeutig zu verzeichnen sind. Die vereinbarte
5-prozentige Absenkung der Arzneimittelausgaben mit 530
Millionen DM konnte zwar nicht erreicht werden, andererseits
sparten die Vertragsärzte aber 410 Millionen DM ein! Daraus
resultiert, dass die Kassenärzte die
Arzneimittel-Zielvereinbarungen 2001 zu 80 Prozent erreicht
haben!
Angesichts dieser Sachverhalte ist es mehr als ärgerlich, wenn
in den Medien immer wieder davon gesprochen wird, dass die Ärzte
die vorgegebenen Sparziele in der Arzneimittelverordnung nicht
annähernd erreichen würden. Angesichts erdrückender
Patientenschicksalen und obiger Sachverhalte bzgl. der
Innovationen und der Preisgestaltung müssen Politiker und
Krankenkassenfunktionäre sowie Journalisten sich wieder mehr an
den realen Gegebenheiten orientieren.
Lösungsmöglichkeit Festzuschuss-Regelung
Um
diese für die niedergelassenen Ärzte unerträgliche und leidige
Situation zu ändern, hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung
(KBV) ein Festzuschuss-Konzept vorgelegt, das die Krankenkassen
mit in die Pflicht nimmt. Damit ließe sich eine rechtssichere
Lösung schaffen. Dieser neue Ansatz unterscheidet sich von der
bisherigen Festbetragsregelung, um die es bekanntlich erhebliche
kartellrechtliche Auseinandersetzungen gegeben hat. Ein weiterer
Vorzug wäre nach Dr. Werner Baumgärtner, KBV-Vorstandsmitglied
und im Vorstand der KBV für Arzneimittelfragen zuständig, dass
die Ärzte wieder für ihre Medikamentenverordnungen
verantwortlich sind.
Festzuschuss – Wie funktioniert das?
Mit
dem Modell Festzuschuss können Einsparungen erzielt werden, ohne
dass die Versorgungsqualität leidet. Desweiteren kommt dieser
Regelung dem Wettbewerbsgedanken der Krankenkassen entgegen, da
es jeder Krankenkasse freigestellt ist, künftig mehr zu
vergüten, als die Referenzsubstanz.
In
Anlehnung an den alljährlich erscheinenden
Arzneiverordnungs-Report (AVR) wird für jede Arzneimittelgruppe
ein Referenzwirkstoff im unteren Preisdrittel definiert. Diesen
Preis übernimmt die Krankenkasse voll als festen Zuschuss.
Dies
bedeutet bei der Regelung Festzuschuss
- Ø definierter Betrag
- Ø abhängig von den Kosten
des Mittels
- Ø nur bei Überschreitung
zu zahlen
- Ø Instrument zur Förderung
des Preis-Wettbewerbs
- Ø freie Entscheidung vom
Versicherten zu verantworten
- Ø klare Definition des
Leistungsanspruchs
Mit
dieser Regelung würden die Ärzte auch der Verordnungsfalle
entkommen. Die Verordnungsfalle entsteht dadurch, dass Patienten
ihr Rezept vor dem Sozialgericht oftmals erfolgreich einklagen
können, auch wenn der Arzt die Nichtverordnung eines Medikaments
pharmakologisch begründen kann. Die Definition und die
Begrenzung des Leistungsrechts ist eine unbequeme Aufgabe. Diese
aber muss vom Gesetzgeber und den Krankenkassen gelöst werden.
14.10.02
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